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Das Abenteuer auf Rollen

Nina war Tims liebste Betreuerin im Kindergarten. Sie war schon etwas älter und hatte so schelmisch glückliche Augen, die ganz klein wurden, wenn sie lächelte – und sie lächelte oft.

Gerade wollte Nina etwas mit den Kindern besprechen, und ihre Augen waren ganz groß.

„Wir haben uns etwas Tolles ausgedacht. Da der Sommer nun vorbei ist und der Herbst so bunt und schön beginnt, wollen wir ein Fest feiern! Ein farbenfrohes Herbstfest!“

Alle Kinder schrien durcheinander: „Oh ja!“, „Ein Fest! Hurra!“, „Gibt es Kuchen?“, und es dauerte einige Zeit, bis Nina weitersprechen konnte. Sie lächelte.

„Natürlich gibt es Kuchen! Aber ich möchte euch noch nicht alles verraten! Es soll auch noch Überraschungen für euch geben. Etwas verrate ich allerdings schon. Damit ihr schon mal üben könnt …“

„Üben? Wofür denn?“, „Was denn? Was ist es?“ Nina legte den Finger auf die Lippen. Alle sahen sie gespannt an.

Sie stützte sich auf ihren Oberschenkeln ab, beugte sich leicht vor und sagte: „Wir veranstalten ein Tretroller-Rennen! Jedes Kind darf mit einem Elternteil, der Lust hat, auf der Wiesenallee um die Wette fahren! Und der Sieger bekommt einen Preis! Ihr schnappt euch eure Mama oder euren Papa, und los geht’s!“

Jetzt half kein auf die Lippen gelegter Finger mehr! Die Kinder redeten alle durcheinander, erzählten sich von ihren tollsten Fahrmanövern, zeigten mit ihren Händen, was für Kurven sie fahren konnten, und waren völlig aus dem Häuschen!

Alle Kinder, außer Tim. Er stand vor seinem Stuhl, hatte die Arme verschränkt und schaute wütend. Niemand schien das zu bemerken. „Das ist total unfair!“, murmelte er.

„Schaut mal hier, ich habe ein Plakat vorbereitet, da können eure Eltern euch eintragen, wenn ihr mitmachen wollt.“

Nina zeigte den Kindern ein großes, blaues Papier. Sie hatte einen Tretroller daraufgemalt, auf dem eine Mama saß. Sie lachte, und ihre Haare wehten nach hinten, sodass es aussah, als ob sie sehr schnell die Allee entlangsausen würde. Sie hängte das Plakat im Flur auf.

„Meine Mama ist superschnell!“, behauptete Sturm und nickte dazu mit dem Kopf.

„Ich bin noch schneller! Mein Tretroller hat einen Turbo!“, sagte Max.

„Ich bin wetten die Schnellste! Mein großer Bruder hat mir einen Geheimtrick gezeigt!“, erzählte Lina.

„Was denn für einen? Sag mal!“ Lina verschränkte die Arme und schüttelte den Kopf.

Nach und nach zogen die Kinder sich Schuhe und Jacken an und gingen Richtung Außengelände. Irgendwann stand nur noch Tim vor dem Plakat. Das war so ungerecht!

Tim betrachtete die blöde Plakatmama mit ihren blöden Haaren. Vor Wut schossen ihm die Tränen in die Augen.

Er griff nach dem Filzstift, den Nina neben das Schild gehängt hatte. Am liebsten würde er über die Plakatmama drüberkritzeln. In dem Moment kam Nina mit einem Besen in der Hand in den Flur.

„Tim, was machst du denn noch hier? Ich dachte, du bist schon draußen.“ Tim antwortete nicht.

Nina ging zu ihm hin und wollte ihm die Hand auf den Arm legen. Tim drehte den Oberkörper weg, sodass es ihr nicht gelang.

„Aber Tim, was ist denn los?“, fragte sie und sah ihn mit ihren schelmischen Augen besorgt an.

„Du bist gemein!“, antwortete er mit verschränkten Armen und zusammengezogenen Augenbrauen.

Nina legte den Besen zur Seite und kniete sich vor Tim auf den Boden. Ihre fröhlichen Augen waren jetzt ganz rund und ernst.

„Warum?“, fragte sie.

„Ich will auch mitmachen“, platzte es aus ihm heraus.

„Ja, aber das kannst du doch, jeder darf mitmachen. Wenn du keinen Tretroller hast, dann kannst du dir doch einen vom Kindergarten ausleihen?“

„Ich habe einen Tretroller. Aber ich habe doch Mama und Mutti. Keinen Papa mit so doofen Haaren!“ So, jetzt war es raus.

In dem Moment kam Emma dazu.

„Das stimmt, das ist wirklich ungerecht!“, sagte sie. „Das ist Diskrimination.“ Emma war ein Vorschulkind und kannte immer solche schwierigen Wörter. „Und überhaupt: Mein Papa wohnt viel zu weit weg, der kann auch nicht kommen.“

„Da hat Emma recht. Da habt ihr beide recht.“ Nina sah zu dem Plakat.

„Mensch, Tim, Emma, da habe ich aber nicht richtig nachgedacht. Ich meinte das eigentlich gar nicht so, natürlich dürfen auch eure Mütter mitfahren. Oder auch der Opa, die Oma oder ein großes Geschwisterkind, ganz egal. Wie gut, dass ihr Bescheid gesagt habt.“ Jetzt hatte sie wieder ihre schelmischen Augen.

„Helft ihr zwei mir, einen Papa neben die Mama zu malen?“, fragte sie. Na klar! Tim malte den Tretroller (und zwar ein bisschen vor den Tretroller von der Plakatmama), und Emma malte einen Papa darauf.

„So ist es gut“, entschied sie nach einem kritischen Blick, und Nina und Tim nickten. „Find ich viel besser. Mein Papa fährt eh viel schneller als meine Mama“, lachte Emma.

Das Fest wurde großartig. Die Sonne schien, alle waren fröhlich, aßen Kuchen, erzählten und spielten. Der Höhepunkt war eindeutig das Tretroller-Rennen.

Tim und Mutti sausten die Allee entlang, dass es nur so pfiff!

Für einen kurzen Moment ging Mutti sogar in Führung. Am Ende gewannen dann Lina und ihr großer Bruder, aber das machte nichts.

Tim und Mutti hatten beschlossen, für nächstes Jahr zu trainieren. Da würde es wieder ein Tretroller-Rennen geben, und dann sollten die anderen mal sehen!

Vielleicht verriet Lina ihnen ja sogar den Geheimtrick?

In den folgenden Wochen übten Tim und Mutti fleißig für das nächste Rennen. Sie fuhren immer wieder die Wiesenallee entlang und versuchten, ihre Geschwindigkeit zu steigern. Lina hatte schließlich ihr Geheimnis verraten: Es ging darum, den Körper im richtigen Moment zu neigen, um die Kurven optimal zu nehmen.

Die Tage vergingen, und der Herbst wurde kälter. Die Blätter fielen von den Bäumen, und schon bald war es Winter. Die Kinder im Kindergarten sprachen immer noch von dem tollen Fest und freuten sich schon auf das nächste Jahr.

Endlich kam der Frühling, und bald darauf war es wieder Herbst. Die Vorfreude auf das Tretroller-Rennen war groß, und diesmal hatten sich noch mehr Kinder und Eltern angemeldet.

Der große Tag war gekommen. Wieder schien die Sonne, und alle waren fröhlich. Die Kuchentafel war reich gedeckt, und die Kinder tobten und spielten. Die Aufregung war förmlich zu spüren, als das Rennen näher rückte.

Alle Teilnehmer versammelten sich an der Startlinie, bereit für das große Rennen. Die Mamas und Papas, Omas und Opas, und großen Geschwisterkinder lachten und feuerten ihre Kinder an.

Das Rennen begann, und Tim und Mutti gaben ihr Bestes. Sie sausten die Wiesenallee entlang, und dank Linas Geheimtrick nahmen sie die Kurven perfekt. Die Zuschauer jubelten und klatschten Beifall, während die Tretroller-Fahrer an ihnen vorbeirauschten.

Es war ein knappes Rennen, aber schließlich überquerten Tim und Mutti als Erste die Ziellinie! Sie hatten gewonnen! Die Freude war riesig, und alle gratulierten ihnen zu ihrem Sieg.

Nach der Siegerehrung, bei der Tim und Mutti stolz ihren Preis entgegennahmen, feierten alle noch lange zusammen. Es wurde gelacht, getanzt und gesungen. Das Herbstfest war wieder ein voller Erfolg.

Und so wurde das Tretroller-Rennen zu einer festen Tradition im Kindergarten. Jedes Jahr freuten sich die Kinder auf das farbenfrohe Herbstfest und das spannende Rennen. Und jedes Jahr trainierten sie fleißig, um ihre Fähigkeiten zu verbessern und gemeinsam mit ihren Familien eine unvergessliche Zeit zu verbringen.

Geschichte und Illustration von Matthias Böhm